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Glücksmomente








        „Vor  zwei  Jahren  machten  meine   liegende Straße nach oben, zurück  ein Geschenk, anders kann ich es
        Frau und ich Urlaub im Odenwald.     zu unserer Ferienwohnung erklim- nicht benennen. Ich konnte diese
        Irgendwann, als wir mit geliehe-     men sollten.                      uralte Festlegung loslassen und mir
        nen Fahrrädern zu einem Limes-       Jetzt war es aus mit der Freude,  sagen, warum nicht mal probieren,
        denkmal im Wald unterwegs wa-        denn da saß etwas anderes in mei- auch wenn wir alte Räder mit nur
        ren, ging es plötzlich bergab. Eine   nem Herzen, eine alte Festlegung,  drei Gängen haben.
        Talfahrt begann, wie ich sie noch    nämlich die, nie in meinem Leben  So  machten  wir  uns  an  den  sehr
        nie erlebt hatte, wie ich sie mir seit   kilometerlang einen Berg hochzu- steilen Aufstieg.
        meiner Kindheit immer gewünscht      fahren.                           Das Ganze machte mir  Tritt für
        hatte, nur bergab, kilometerlang,    (Jetzt wo ich das so niederschreibe,  Tritt immer mehr Freude, die An-
        durch hohe Wälder, zwischendurch     fällt mir auf, dass das wahrschein- strengung und auch die Kraft in
        Ausblicke in weitere Täler, nur wir,   lich der Grund war, warum ich bis  den Muskeln zu spüren,  Teilziele
        keine Autos, ich konnte einfach rol-  zu diesem Zeitpunkt nie die Freude  (bis zur nächsten Kurve), die ich
        len lassen und rollen und rollen.    einer unendlichen  Talfahrt erlebt  mir zurechtlegte, erreicht zu haben,
        Mit der Zeit erfüllte mich eine      hatte.)                           die Vorfreude, oben anzukommen
        Freude, die mir zeigte, dass die-    Kreativ suchte ich nach alternati- und es geschafft zu haben.
        se Sehnsucht nach so einer Fahrt     ven Lösungen, sprich Ausreden:  Als ich im Herzen jubelnd oben
        schon lange in mir steckte. Immer    mit dem Bus zurück zu fahren oder  ankam, genoss ich nicht nur einen
        noch rollte es. Das Ganze war so     noch weiter ins Tal hinab und dann  phantastischen Ausblick, sondern
        berauschend,  war  so  schön,  dass   mit kilometerlangem Umweg um  ich hatte etwas in mir besiegt, was
        der Gedanke, dass ich wahrschein-    den Berg herum, usw.              mir Jahrzehnte lang Leben geraubt
        lich irgendwann wieder hoch muss,    Meine Frau ließ nicht locker. Die  hatte.
        meine Freude nicht trüben konnte.    Alternativen waren außerdem nicht  Heute im Rückblick bin ich vor al-
        Dann waren wir fast im Flusstal an-  realisierbar.                     lem für den Aufstieg dankbar.
        gekommen. Meine Frau schlug vor,     Ich saß in der Falle.
        dass wir jetzt wieder die gegenüber-  Und plötzlich geschah etwas in mir,  (George, 55)



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